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1 " Inzwischen hatte der launische Wind seine Aufmerksamkeit anderen zugewandt. Er fuhr durch die schweren Stoffbahnen der Marktstände um Farisio herum, brachte die Flaggen und Fähnchen zwischen den Häusern zum Tanzen und die Windspiele an den Gebäuden zum Klingen, erfand mit spielerischer Leichtigkeit eine neue Melodie und gab den Luftschiffen der Wachen über der Stadt Brise einen kleinen Stups. Er erzählte ihnen allen etwas, doch Farisio merkte, dass niemand dem Wind zuhörte. Niemand außer ihm. "
― Nicole Gozdek , Die Gilde der Schatten
2 " Hatte er tatsächlich gerade eben beobachtet, wie der dicke Gauner seine kleine Schwester aus dem Sessel gehoben und sich mit ihr einfach so davonteleportiert hatte, als wäre er ein Kind von Moronis? "
3 " Farisio blieb stehen. Schauder schüttelten seinen Körper. So viel gebündelte magische Energie hatte er bislang nur einmal gespürt, in der Nähe eines großen Raumportals. Er fühlte sich, als hätte ihn ein magischer Blitz getroffen und als würden seine Füße über dem Boden schweben, doch als er an sich heruntersah, erwies sich das als Täuschung. "
4 " Noch immer spürte er, wie die Magie der Kristalle und Steine nach ihm rief, ihn lockte, doch wieder Platz zu nehmen und sie freizulassen.Der Stuhl war gefährlich. "
5 " Er wusste nicht, ob es im Inneren noch Tunnel gab oder ob Teleportation der einzige Weg war, um die geheime Stadt der Schatten wieder zu verlassen. Farisio war auch ohne Ketten ein Gefangener und er konnte nichts dagegen tun. "
6 " »Ich bin Flinkfinger«, stellte sich der Dünne vor. »Scharfauge und ich gehören zu den Schatten, einer geheimen Gesellschaft von Dieben, Einbrechern, Erpressern und Assassinen. Vielleicht hast du schon mal von uns gehört?« "
7 " Er besaß zwar das Blut und die Haare seines unbekannten Vaters, nicht aber dessen Gabe. Er würde niemals fliegen lernen. "
8 " Er spürte ihren Schmerz, als wäre es sein eigener. Und nichts anderes hatte er verdient. Er hatte zugelassen, dass die Dunkelheit, deren Hüter er war, entkommen war und Unschuldige verletzt hatte. "
9 " Nun herrschte dort, wo einst eine Domäne der Splitterwelt gestanden hatte, wieder das Nichts und erinnerte durch abgeschnittene Pfade ins Nirgendwo an die Tragödie, die sich hier vor langer Zeit ereignet hatte. "
10 " Er begriff, dass er keine Wahl hatte. Wenn er nicht beim Pfandleiher einbrach, dann hatte er kein Geld für Essen oder Kleidung. Und beides brauchten Ileija und er dringend. "
11 " Sein Herz klopfte wie verrückt, als er zwischen den Bäumen hindurchhuschte. Noch wusste er nicht, was genau nicht in Ordnung war, aber das Gefühl der Dringlichkeit, das ihm der Windvermittelte, ließ ihn Schlimmes vermuten. Jemand befand sich in Lebensgefahr. Er musste sich beeilen. "
12 " Und Farisio begriff, dass ausgerechnet der Mann ihn töten würde, dem er das Leben gerettet hatte. Welch ein Narr er gewesen war! "
13 " »Sicherheit geht immer vor! Das ist die wichtigste Lektion, Koll, sowohl im Bombenbau als auch in der Bombenentschärfung.« "
14 " »Du wirst feststellen, dass Bombenbau eine einsame Tätigkeit ist, Bombenentschärfung dagegen häufig Teamarbeit. Versuche niemals, eine Bombe allein zu entschärfen, mit der du dich nicht auskennst!« "
15 " Das nächste Problem ließ nicht lange auf sich warten. Als er vor dem Eingang zum Treppenhaus stand, summte es ihm schon fröhlich entgegen.Ein Ordnungsstein. Verdammt!Er wusste nicht, ob es überhaupt eine Möglichkeit gab, den Schutz vor Einbrechern zu überlisten, aber er musste es versuchen. Ein paar Meter von der Tür und dem Ordnungsstein entfernt hielt er inne. Mit geschlossenen Augen lauschte er, bis das Summen des Schutzsteins das Einzige war, was er hörte. Es dauerte nicht lange und seine geübten Ohren, die sonst immer dem Wind lauschten, hatten eine Melodie erkannt. "
16 " Es dauerte nicht lange, bis Flinkfinger erschien und ihn scharf musterte. »Ich will mein Messer zurück«, sagte er.Farisio verzog das Gesicht kurz zu einem grimmigen Lächeln. »Und ich meine Schwester«, entgegnete er. »Also denk ja nicht, dass ich irgendetwas für dich tun werde, bevor ich sie nicht gesund und wohlbehalten zurückhabe.« "
17 " In diesem Moment zog sich die Dunkelheit zusammen wie eine angespannte Feder, um im nächsten Augenblick von der Decke zu schnellen … direkt auf Farisios geöffneten Mund zu! "
18 " Unerwartet fuhr ihm der Wind ins Gesicht. Farisios Augen brannten.Es fühlte sich für ihn wie ein Schlag an. Der Wind forderte seine Aufmerksamkeit und entlockte ihm ein Seufzen.Natürlich hätte es auch ein Nachkomme von Wirilat sein können, der voller Übermut seine Windmagie an ihm erprobte, doch Farisio glaubte das nicht. Dann hätte er nicht dieses leise Wispern vernommen: Hör zu! "
19 " Farisio musterte kritisch sein frisch gewaschenes Gesicht in der spiegelnden Wasserfläche. Er hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, die man als schön bezeichnen konnte, helle, ausdrucksstarke Augen, eine schmale Nase und volle Lippen. Man sah ihm an, dass er noch keine sechsundzwanzig Jahre alt war. Doch wenn er eine richtige Arbeit haben wollte und nicht nur eine unterbezahlte Lehrstelle, dann würde alles davon abhängen, dass ihn die Leute für volljährig hielten. Seufzend schloss er für einen Moment die Augen. Die Wahrheit war, dass er mit gerade mal zwanzig Jahren sogar für eine Lehre noch zu jung war. Lehrlinge begannen in der Regel mit zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahren ein Handwerk zu erlernen. "
20 " Dann flog etwas in rasanter Geschwindigkeit an ihm vorbei und Farisio zuckte zusammen, als er begriff, dass er soeben einen Nachkommen von Wirilat auf einem riesigen Greifvogel gesehen hatte. "