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1 " auf einem spielplatz im park hat sich ein junges paar auf zwei schaukeln gesetzt und führt ein langes sondierendes gespräch. beide wollen nicht nur reden, aber ihre worte sind alles, was sie in dieser nacht füreinander haben. langsam wird es auch für die beiden zeit, den park zu verlassen. auch sie müssen nach hause, letzte verkehrsmittel erwischen. als sie gehen, ist der park nur noch vom geräusch der grillen durchzogen. in den umliegenden villen leuchten vereinzelte fenster und verdrängen die funkelnde pracht der sterne, die über dem park steht. in ungeordneter folge gehen die fensterlichter an, aus, kurz, lang. der park nimmt die seufzer, die schreie aus den häusern auf: wie ein schwamm. so vergeht die nacht. gegen morgen wankt ein irgendwo übersehener betrunkener aus seinem gebüsch, das er vorrübergehend beschlief, sucht seinen heimweg. "
― David Ramirer , 2015 - fuck me tender
2 " einige gitarren, ein klavier, mikrophone von der decke, kleine schaumstoffpyramiden an den wänden. ein studio in new york an der upper east side. es ist ein warmer septemberabend draußen über der stadt. bob dylan verbrachte ihn bis etwa 5 p.m. auf der veranda seines freundes bill clinton, wo die beiden marihuana rauchten und kreatives schlafen praktizierten. bob braucht diese rituale mit freunden, bevor er ins studio geht, seit so vielen jahren, nach so vielen platten. jetzt, pünktlich um 7:34 p.m., sitzt er alleine hier im studio und schaut auf das geöffnete klavier. ähnlich wie helmut schmidt in deutschland darf auch bob dylan an jedem ort hemmungslos rauchen, selbst wenn an der wand ein großes, rot leuchtendes warnschild mit der aufschrift „do never smoke“ angebracht ist. die rauchwolken der siebenten camel filter ziehen wie magisch in den innenraum des flügels, sie stauen sich dort, scheinen sich einzunisten. vor den augen dylans aber wird das klavier zum sarg. er sieht im rauch eine spiegelung seiner eigenen gewohnt gelockten haare, er selbst daran mit dem kopf anmontiert, im besten anzug plus krawatte, eingebettet in verplüschte seitenwände. er wollte doch erste demos für die neue platte aufnehmen, nicht sich selbst im sarg visualisieren. verstimmt dämpft er die zigarette auf seinem linken unterarm aus und legt den stummel zärtlich zu den anderen auf den boden. er ist müde… das gras wirkt wohl immer noch. wie in trance steht er nun auf, verfügt sich zum flügel und platziert sich vor den tasten. im bleiernen halbschlaf geht es jetzt los.(0201) "
3 " zu gefeliger kentnisnohme mochte ich verzählen mene herrkunpft, also war so: mein vata woar ein schreiner im dorf nebenan von dorf wo mine mutta glebt hot. sie is gwesen a köchinfrau in der stiftskuchl für die hohen herrn praelatten von der kirchenoberigkeit. gschwista hob i fünfe gehobt, olle aber nicht vom schreiner sondern von andre mannsbülder wo meine mutta verkehr gehobt hat gegen göld. wir kinder san olle verlumpt aufgwachsa, da woar wenig da, halt reste von der kuchl im stift. "
4 " manchmal braucht es eine wasserstoffbombe, das können sie mir glauben. wobei eine einzige oft nur bedingt zielführend ist, wenn der exakte ort und die richtige zeit nicht passen. schlimmstenfalls steigt die augenlicht gefährdende plasmakugel aus umgewandelter materie strahlend majestätisch am horizont hoch und es stellt sich – während sie noch den sekt einschenken – heraus, dass die koordinaten falsch kalibriert wurden. "
5 " der arbeitslose general bemalte sich mit goldlack. seine füße badeten in eiswasser. das zimmer rund um ihn war karg, alles mit hellem holz ausgekleidet. er hatte lackreste vom bemalen seiner lebensgroßen zinnsoldaten übrig, die wollte er nicht wegschütten. daher bepinselte er sich seinen prallen bauch, der vor ihm in der drückenden hitze des nachmittags dampfte. das musste eine glänzende kuppel ergeben, ein beeindruckendes bauwerk. sein bauch verdiente verehrung. da die welt immer wieder auf die angemessenen unterwerfungen und lobhuldigungen allzu lange warten ließ oder auch darauf vergaß, lag es oft an ihm, hier unterstützend einzugreifen. "
6 " da zwischen uns kein sexueller austausch mehr vorhanden ist, kenne ich keine eifersucht. ich sehe in deinen augen keine beteiligung, wenn der alte mann mit der gegerbten haut sich auf dir abmüht. wenn er sich an deiner jugend entzündet, seine energie ausbläst. ganz deutlich sehe ich, dass es kein vergnügen für ihn ist, dass vielmehr er uns bezahlt, ohne es zu wissen. so leben wir nun seit einigen jahren hier. es wird nichts von uns bleiben, aber wir haben zeit. immerhin. "
7 " die sonne brach durch die wolkendecke, etwa vier bis fünf kilometer entfernt. auf den feldern nur wintergemüse. stillgelegte erde. ruhendes land. es lag kein schnee, nicht einmal in den tieferen narben des landes, bei den kleinen bächen zwischen den feldern. bis zum horizont immer wieder windräder, die gegen den himmel eine nichtstatische, lebendige struktur bildeten. es mussten hunderte sein, die alleine von diesem punkt aus sichtbar wurden. der weitere weg durch diese landschaft, die von einem schwachen regen durchfeuchtet wurde, völlig stetig und unbehelligt, führte an diese großen räder heran. langsam drehten sich die flügel, einige etwas schneller – manche standen auch ganz still. die sonne ist verschwunden hinter der wolkendecke, die kräftigen farbtöne vom landstrich am horizont mit ihr. neben dem weg zieht der blick in ein kleines wäldchen. wasser, baumruinen. um den weiher gebäude für wildtiere. es findet sich auch ein fanggitter für füchse, wo fleisch als köder locken soll. ein haufen rüben. etliche rohre aus beton, bauteile für einen abfluss. über all dem dreht sich eine windturbine und rhythmisiert die stille mit ihrem geräusch, das an fliegende schwäne erinnert, nur eben viel langsamer. an diesem ort fände man obdach, wenn der regen stärker werden sollte; aber die landschaft zieht mich weiter, heute bleibe ich hier nicht länger. der weg zwischen den feldern nimmt mich wieder auf. ich sträube mich nicht. "
8 " alles amateure, diese kellermonster, alles halbgare vollidioten: getrieben von niederen instinkten, allesamt. ich muss selbst über meine genialität lächeln, als ich türe #1 absperre mit meinem fingerabdruck und einem zwanzigstelligen zahlencode, den ich täglich wechseln werde. alleine diese gedächtnisleistung zu erlangen, kostete mich vier jahre training. die tür ist nun zu, ich betrete treppe *71 (die treppen sind gegenläufig nummeriert zu den türen, nur so zum spaß). es sind exakt einhundertzwanzig stufen bis zu #2 und weitere einhundertfünfzig zu #3, dann teilen sich die treppen erstmals, nur ich kenne die abzweigungen. es ist ein labyrinth, aber kein antikes wie in chartres am boden. der ariadnefaden wäre nutzlos. "