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" Ich sehe zu. Ist das nichts?"
"Wem ist damit geholfen?"
"Wem ist zu helfen?", fragte Fabian. "Du willst Macht haben. Du willst, träumst du, das Kleinbürgertum sammeln und führen. Du willst das Kapital kontrollieren und das Proletariat einbürgern. Und dann willst du helfen, einen Kulturstaat aufzubauen, der dem Paradies verteufelt ähnlich sieht. Und ich sage dir: Noch in deinem Paradies werden sie sich die Fresse vollhauen! Davon abgesehen, dass es nie zustande kommen wird ... Ich weiß ein Ziel, aber es leider keines. Ich möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen. Vorläufig bin ich damit beschäftigt, sie auf ihre diesbezügliche Eignung hin anzuschauen. "
― Erich Kästner , Fabian. Die Geschichte eines Moralisten
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" Du müsstest endlich vorwärtskommen."
"Ich kann doch nichts."
"Du kannst vieles."
"Das ist dasselbe", meinte Fabian. "Ich kann vieles und will nichts. Wozu soll ich vorwärtskommen? Wofür und wogegen? Nehmen wir einmal an, ich sei der Träger einer Funktion. Wo ist das System, in dem ich funktionieren kann? Es ist nicht da, und nichts hat Sinn."
"Doch, man verdient beispielsweise Geld."
[...] "Wozu soll ich Geld verdienen? Was soll ich mit dem Geld anfangen? Um satt zu werden, muss man nicht vorwärtskommen. Ob ich Adressen schreibe, Plakate bedichte oder mit Rotkohl handle, ist mir und ist überhaupt gleichgültig. Sind das Aufgaben für einen erwachsenen Menschen? Rotkohl en gros oder en detail, wo steckt der Unterschied? Ich bin kein Kapitalist, wiederhole ich dir! Ich will keine Zinsen, ich will keinen Mehrwehr."
Labude schüttelte den Kopf. "Das ist Indolenz. Wer Geld verdient und es nicht liebt, kann es gegen Macht eintauschen."
"Was fange ich mit der Macht an?", fragte Fabian. "Ich weiß, du suchst sie. Aber was fange ich mit der Macht an, da ich nicht mächtig zu sein wünsche? Machthunger und Geldgier sind Geschwister, aber mit mir sind sie nicht verwandt. "
― Erich Kästner , Fabian. Die Geschichte eines Moralisten
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" Liebes Fräulein, ich kenne Sie noch nicht. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, möchte ich Ihnen für den Umgang mit Menschen eine Arbeitshypothese anvertrauen, die sich bewährt hat. Es handelt sich um eine Theorie, die nicht richtig zu sein braucht. Aber sie führt in der Praxis zu verwendbaren Ergebnissen."
"Und wie lautet Ihre Hypothese?"
"Man halte hier jeden Menschen, mit Ausnahme der Kinder und Greise, bevor das Gegenteil nicht unwiderleglich bewiesen ist, für verrückt. Richten Sie sich danach, Sie werden bald erfahren, wie nützlich der Satz sein kann.
"Soll ich bei Ihnen damit beginnen?", fragte sie.
"Ich bitte darum", meinte er. "
― Erich Kästner , Fabian. Die Geschichte eines Moralisten