7
" »Weißt du«, sagte Alena, »als ihr beide noch Teenager wart, gab es oft Momente, in denen ihr euch auf eine ganz bestimmte Weise angesehen habt – aber immer nur dann, wenn der jeweils andere gerade wegschaute.« Etwas Verträumtes lag in ihrem Blick verborgen. »Als Mutter sieht man so etwas einfach. Wahrscheinlich wusste ich es schon, bevor ihr beide es wusstet. Ich habe euch oft still und heimlich beobachtet und mir gewünscht, ihr zwei würdet den Weg zueinander finden. Aber leider«, sie seufzte, »trat das nicht ein. Es kam anders. Elyas reiste nach London.« Alena hing ihren Gedanken nach. Erst verzögert wandte sie den Blick wieder auf mich. »Irgendetwas ist damals zwischen euch vorgefallen, richtig?« "
― Carina Bartsch , Türkisgrüner Winter (Kirschroter Sommer, #2)
8
" Vorsichtig streichelte ich durch das kaschmirfeine Fell. An der Seite spürte ich die zierlichen, kleinen Rippen und auf dem Rücken die Knöchelchen der Wirbelsäule. Der Körper war federleicht und fühlte sich sehr warm an, wahrscheinlich mitgebrachte Wärme von Elyas. Die Katze zu halten, war wie eine indirekte Berührung mit ihm.
...
»Wie heißt sie eigentlich?«
»Wir haben noch keinen Namen. Vielleicht fällt dir ja einer ein?«
Ich dachte angestrengt nach, zuerst vergeblich, doch dann war da auf einmal ein Lichtblick: Ich wusste wieder, woran mich die Augen erinnerten. Ich hatte sie nicht gesehen, ich hatte sie gelesen. Und es gab nur einen Menschen, der Augen so beschreiben konnte, dass man dachte, man hätte sie selbst gesehen.
»Ligeia«, sagte ich.
Meine Lieblingsgeschichte von Edgar Allan Poe.
»Ligeia?«, wiederholte Alena. »Das klingt toll. Wie kommst du darauf?«
Ich holte gerade Luft, um ihre Frage zu beantworten, da kam mir meine Lieblingsstimme zuvor.
»Sie war hochgewachsen, schlank, ja, in ihren letzten Tagen sogar sehr abgemagert«, sagte Elyas. Die Gesichter voller Verwunderung, drehten Sebastian und Alena den Kopf in seine Richtung. Ich dagegen wusste sofort, woher dieser Satz stammte.
»Bitte?«, fragte Alena.
»Es wäre vergebliche Mühe, wollte ich die Majestät, die ruhige Gelassenheit ihrer Haltung, die unbegreifliche Leichtigkeit und Elastizität ihres Ganges beschreiben. Sie kam und ging wie ein Schatten. Ihre Pupillen waren von strahlendstem Schwarz, von ebenholzfarbenen Wimpern tief überschattet, und die Brauen von leicht unregelmäßiger Zeichnung hatten die gleiche Farbe. Doch war das Seltsame, das ich in den Augen fand, unabhängig von ihrer Form, ihrer Farbe und ihrem Glanze – Der Ausdruck der Augen Ligeias. Wie lange Stunden habe ich über ihn nachgegrübelt, wie manche lange Sommernacht hindurch mich bemüht, ihn zu ergründen. Was war es, dieses unbestimmte Etwas, das, tiefer als in den Brunnen des Demokritos, auf dem Grunde der Augen meiner Geliebten verborgen lag? Was war es? Ich war wie besessen von dem leidenschaftlichen Wunsche, es zu enträtseln. Diese Augen. Diese großen, strahlenden, himmlischen Pupillen. Sie wurden für mich das Zwillingsgestirn der Leda, und ich war ihr eifrigster Sterndeuter.«
Elyas schloss. "
― Carina Bartsch , Türkisgrüner Winter (Kirschroter Sommer, #2)
10
" »Schnuggi«, rief ich, doch Elyas reagierte nicht.
Der Typ lief mir einfach viel zu schnell. Es war schwer genug, einen Fuß erfolgreich vor den anderen zu setzen, an Tempo war dabei nicht einmal zu denken. Ich wusste nicht, warum Elyas ausgerechnet heute der Meinung war, er müsse einen neuen Rekord aufstellen.
»Niss soo schnell, Elyas … Hicks«
»Emely«, sagte er, stoppte und wandte sich zu mir um. »Wenn wir noch langsamer laufen, dann stehen wir.«
»Gar nich waahhr.«
»Doch, es ist die Wahrheit. Ich warte bereits auf die erste Schnecke, die dich anhupt.« Er harrte aus, bis ich auf gleicher Höhe zu ihm war, und lief weiter. Nur wenige Schritte später bildete ich schon wieder das Schlusslicht.
Linker Fuß vor – rechter Fuß vor. So schwer konnte das doch nicht sein? Es erforderte meine gesamte Konzentration und war trotzdem nicht von Erfolg gekrönt. Im Gegenteil, denn im nächsten Augenblick bekam ich den Beweis, wie schwer es tatsächlich war. »Huch!«, brachte ich nur noch hervor, als ich mit dem Fuß umknickte, ins Rudern geriet, gnadenlos das Gleichgewicht verlor und in eine Hecke plumpste.
»Emely?«, hörte ich Elyas‘ Stimme in der Ferne fragen. »Wo bist du?«
»Hicks.«
Erst hörte ich Schritte, dann wackelte die Hecke ein zweites Mal. »Emely! Was … Gott, wenn man dich nur eine Sekunde aus den Augen lässt. Ist dir etwas passiert?«
Ich kicherte. »Mr. Busch hat mich aufgefangen … Verstehs su? Mr. Busch!«
Elyas seufzte und beugte sich näher über mich. »Hast du dir wehgetan?«
»Weiß nisch?«
»Mädchen, Mädchen«, sagte er. »Komm her.« "
― Carina Bartsch , Türkisgrüner Winter (Kirschroter Sommer, #2)
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" Auf diese Weise gelang es uns tatsächlich, unversehrt den Mustang zu erreichen. Die drei Fast-Stürze, weil ich beim Kuscheln immer wieder die Augen geschlossen hatte, mussten ja nicht zwingend erwähnt werden.
»Darf isch fahren?«, fragte ich, als mir Elyas die Tür aufhielt.
»Klar, Süße«, sagte er und half mir beim Einsteigen auf der Beifahrerseite.
Nachdem ich saß, beugte er sich über mich und hantierte mit dem Gurt, um mich anzuschnallen.
»Bin biologisch betrachted nich isch diejenige von uns, die sich nach vorne büggen müsste?« Ich kicherte, während Elyas mit geweiteten Augen in mein nahes Gesicht starrte.
»Fräulein Winter«, sagte er und räusperte sich. »Die anzüglichen Witze mache immer noch ich!«
»Schulligung, isch wollt auch ma wissen, wie des is.« Ich hob die Schultern, und Elyas widmete sich kopfschüttelnd wieder dem Gurt. Kurz darauf klickte es.
»So«, sagte er und richtete sich auf. »Er ist drin.«
»Bissu sicher?«, fragte ich grinsend. »Ich spür nix.«
Bis zu diesem Moment hatte ich ja keine Ahnung gehabt, zu welch doofem Gesichtsausdruck Elyas fähig war. Leider war dieser köstliche Anblick nicht von langer Dauer. Seine Lippen formten ein Schmunzeln und mit einem verheißungsvollen Glanz in den Augen beugte er sich dicht zu mir hinunter. »Glaub mir, Schatz«, flüsterte er. »Den würdest du spüren.« "
― Carina Bartsch , Türkisgrüner Winter (Kirschroter Sommer, #2)
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" Dankend nahm ich sie an. »Das viel bessa als die blöden Pabbbecher«, sagte ich, setzte die Flasche an meine Lippen und zwang einen Schluck der bitter schmeckenden Flüssigkeit den Hals hinunter. Ich verzog das Gesicht.
»Jep«, antwortete er und nickte.
»Duhu, Freddy?«
»Isch heiß eigndlich gar nich Freddy.«
»Sondern?«
»Scheff.«
»Scheff?«, fragte ich.
»Nee … Tscheff. Von Teschffrie.«
»Ah … Jeff.«
»Genau«, sagte er. »Unndu?«
»Isch heiß Emmely.«
»Hallo Emmely«, sagte er und reichte mir die Hand. Ich kicherte, immerhin saßen wir schon eine ganze Weile nebeneinander. "
― Carina Bartsch , Türkisgrüner Winter (Kirschroter Sommer, #2)
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" Wodka pur war doch noch recht gewöhnungsbedürftig für einen sonst nur bei Anlässen Alkohol trinkenden Menschen wie mich. Teufelszeug!
»Weißt, was auch blöd is?«, fragte ich.
»Ne.«
»Ich weiß nich ma, wo ich hin soll! Aleks und Seba … Sebasch … Basti sind schon weg, glaubsch.«
»Wer isn Aleks und Seba-Sebasch-Basti? Ist dea Auslända?«
»Ne, Pschychologe.«
»Asoo, und wer sind die nu?«
»N’ Giftzwerg und ihr blöda, perfekter Freund.«
»Verstehe. Und was maxte nun, wenn de nich weißt, wo de hinsollst?«
»Weiß ich eben net. Hia bleiben und tringn, denk isch.«
»Quatschhh, dann kommsd de mit zu mia!«, sagte er.
»Wer issn Mia?«
»Na ich.«
»Ich dachte, du heißd Jeff?«
»Ja, ich meinde, mit zu mirrr«, antwortete er, und dank der extremen – und leider feuchten – Betonung des »R«, verstand es dieses Mal sogar ich. "
― Carina Bartsch , Türkisgrüner Winter (Kirschroter Sommer, #2)