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" Mit den Schülern zusammen saßen dort regelmäßig auch ihre Freunde aus der Kindheit, die gemeinsam mit ihnen die Grundschule besucht hatten und danach als Lehrlinge, Handlungsgehilfen, als kleine Gemeindeschreiber oder in irgendeinem Betrieb in der Stadt geblieben waren. Unter ihnen gab es zwei Arten. Die einen waren zufrieden mit ihrem Schicksal und dem Leben in der Stadt, in der sie zeit ihres Lebens bleiben würden. Mit Neugierde und Sympathie schauten sie auf ihre gebildeten Freunde, bewunderten sie, ohne sich je mit ihnen zu vergleichen; ohne den geringsten Neid nahmen sie teil an ihrem Fortschritt und Aufstieg. Die anderen waren nicht mit dem Leben in der Stadt versöhnt, zu dem sie die Verhältnisse verurteilt hatten, sondern sehnten sich nach etwas, das sie für höher und besser hielten und das ihnen entgangen war und mit jedem Tag immer ferner rückte und unerreichbarer wurde. Obwohl auch sie weiterhin mit ihren studierten Kameraden zusammenkamen, gingen diese jungen Menschen zu ihren gebildeten Altersgenossen gewöhnlich durch grobe Ironie oder feindseliges Schweigen auf Distanz. Sie konnten nicht von Gleich zu Gleich an allen ihren Gesprächen teilnehmen. Gequält durch ein ständiges Unterlegenheitsgefühl, betonten sie daher im Gespräch bald übertrieben und unaufrichtig ihre Einfachheit und Unbildung im Vergleich zu ihren glücklicheren Freunden, bald spotteten sie wiederum bissig über alles aus der Höhe ihrer Unwissenheit. Im einen wie im anderen Fall strömte der Neid wie eine fast sichtbare und fühlbare Kraft aus ihnen. "

Ivo Andrić , The Bridge on the Drina (Bosnian Trilogy, #1)


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Ivo Andrić quote : Mit den Schülern zusammen saßen dort regelmäßig auch ihre Freunde aus der Kindheit, die gemeinsam mit ihnen die Grundschule besucht hatten und danach als Lehrlinge, Handlungsgehilfen, als kleine Gemeindeschreiber oder in irgendeinem Betrieb in der Stadt geblieben waren. Unter ihnen gab es zwei Arten. Die einen waren zufrieden mit ihrem Schicksal und dem Leben in der Stadt, in der sie zeit ihres Lebens bleiben würden. Mit Neugierde und Sympathie schauten sie auf ihre gebildeten Freunde, bewunderten sie, ohne sich je mit ihnen zu vergleichen; ohne den geringsten Neid nahmen sie teil an ihrem Fortschritt und Aufstieg. Die anderen waren nicht mit dem Leben in der Stadt versöhnt, zu dem sie die Verhältnisse verurteilt hatten, sondern sehnten sich nach etwas, das sie für höher und besser hielten und das ihnen entgangen war und mit jedem Tag immer ferner rückte und unerreichbarer wurde. Obwohl auch sie weiterhin mit ihren studierten Kameraden zusammenkamen, gingen diese jungen Menschen zu ihren gebildeten Altersgenossen gewöhnlich durch grobe Ironie oder feindseliges Schweigen auf Distanz. Sie konnten nicht von Gleich zu Gleich an allen ihren Gesprächen teilnehmen. Gequält durch ein ständiges Unterlegenheitsgefühl, betonten sie daher im Gespräch bald übertrieben und unaufrichtig ihre Einfachheit und Unbildung im Vergleich zu ihren glücklicheren Freunden, bald spotteten sie wiederum bissig über alles aus der Höhe ihrer Unwissenheit. Im einen wie im anderen Fall strömte der Neid wie eine fast sichtbare und fühlbare Kraft aus ihnen.